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AutorenbildKarry Schwettmann

Regenerative Unternehmen: PNZ-Produkte GmbH

Aktualisiert: 23. Nov. 2023

Vom regenerativen Geschäftsmodell zum regenerativen Unternehmen - oder anders herum?


Bei der Beschreibung einer regenerativen Wirtschaft, haben wir womöglich eine vage Vorstellung davon, was es bedeutet, aber sind noch weit davon entfernt, ein kollektives Verständnis davon zu haben, wie Unternehmen ihre Organisation und Geschäftsmodelle in Richtung Regeneration transformieren können. Aus diesem Grund suchen wir Unternehmen, die mutige Pionierarbeit leisten und helfen, aus der Praxis heraus dieses Verständnis zu entwickeln. Hier werden wir konkrete Beispiele beleuchten, ohne den Anspruch zu erheben, dass diese Unternehmen vollumfänglich “regenerativ” wirtschaften, denn - sind wir einmal ehrlich - kann es diese geben, wenn wir uns bei diesem Thema vor allem noch auf der Theorieebene bewegen und Visionen oft in der Konzeptphase steckenbleiben?

Regenerative Geschäftsmodelle und Produkte


Um aber nicht ganz losgelöst von der Theorie zu arbeiten, nehmen wir Bezug auf den vorangegangenen Artikel über “Die regenerative Organisation als Nordstern: Stellschrauben für neue Handlungsspielräume”. So können wir auch schauen, wie sich die beleuchteten Praxisbeispiele weiterdenken lassen.

Nun aber los.

Wir haben für unsere erste Fallstudie mit Marcel Pietsch-Khalili gesprochen, Geschäftsführer der PNZ-Holzmanufaktur, ein führender Anbieter umweltfreundlicher und nachhaltiger Holzschutz- und Holzpflegeprodukte sowie Silikatwandfarben. Zuletzt hat das Unternehmen die erste “Wandfarbe ohne Abfall” auf den Markt gebracht und wir waren neugierig, diese Innovation einmal im Kontext regenerativen Wirtschaftens zu beleuchten.

Die “Wandfarbe ohne Abfall”


Zum Kontext des Projekts: Ziel war es eine ganzheitliche Kreislauflösung für das Produkt “Wandfarbe” zu entwickeln. Die Herausforderungen dabei waren vielfältig, u.a. war das Produkt “Wandfarbe” bis heute stets ein linearer Prozess von der Herstellung bis zur Deponie und vorhandene Alternativen zum Kunststoffeimer für die Wandfarbe sind entweder problematisch oder unpraktisch. Außerdem findet Recycling im Sinne einer Wiederverwendung von Wertstoffen nur in sehr eingeschränktem Ausmaß statt, was die weitere Skalierbarkeit solcher Lösungen erschwert. Problematisch ist außerdem, dass die Farbe von der Herstellung bis zum Verbraucher in einem Plastikbehälter aufbewahrt wird, der dann - im Idealfall - zur Abfallentsorgung gebracht und dort thermisch recycelt, also verbrannt wird. Dies ist der gängige Prozess für ein Produkt, das in Deutschland etwa zwei Milliarden Euro pro Jahr umsetzt. Wer mehr zum Projekt erfahren möchte, kann sich hier einlesen.


Der Ansatz


Der Ansatz wurde letztlich als gemeinsames Projekt zwischen PNZ und Zentek, einem der größten Abfallwirtschaftsunternehmen in Deutschland, entwickelt. Kern der Idee ist es, wertvolle Materialien faktisch in einem Cradle-to-Cradle-Kreislauf zu erhalten, sie also wiederzuverwenden, anstatt im Entsorgungsprozess nur Materialrecycling zu betreiben. Das Problem wird immer präsenter, da immer noch zu viel Plastik verbrannt und nicht wirklich recycelt wird. PNZ und Zentek wollten dieses Problem entlang folgender Schlüsselfaktoren der Nachhaltigkeit angehen: Langlebigkeit, Aufrechterhaltung der Recyclingfähigkeit in einem geschlossenen Prozesskreislauf (so lange wie möglich) und ein umweltschonendes, nicht-thermisches Recycling am Ende des Lebenszyklus.

Die entstandene Lösung

Tatsächlich war es möglich, eine vollständig zirkuläre Lösung zu finden, die auch andere relevante Nachhaltigkeitsfaktoren optimiert. Die Lösung taufte sich "Wandfarbe ohne Abfall" und umfasst die folgenden Aspekte:

Das Produkt ist eine langlebige Silikat-Wandfarbe, die atmungsaktiv und schimmelhemmend ist, keine Biozide enthält und aus regionalen Ressourcen hergestellt wird. Die Verpackung ist ein stabiler Schraubverschluss-Eimer, der unter praktischen Bedingungen zwischen 12 und 20 Mal wiederverwendet werden kann. Der Rückgabeprozess wurde so gestaltet, dass Kund:innen ermöglicht wird, den (ungereinigten) Eimer mit einem kostenfreien Rücksendeetikett an den Hersteller zurückzusenden.

Ein Reinigungsprozess wurde entwickelt, so dass die zurückgesendeten Eimer beim Hersteller mit Hochdruckwasser gereinigt und dann wiederverwendet werden. Das Reinigungswasser wird anschließend getrocknet und die verbleibenden Farbreste werden zermahlen und zur Herstellung neuer Farbe wiederverwendet.

Wenn der Eimer das Ende seiner Lebensdauer erreicht, wurde ein Prozess entwickelt, in welchem die gereinigten Eimer von der Recyclingfirma geschreddert werden und als Rohstoff in den Materialkreislauf gelangt, ganz ohne thermisches Recycling.


Im Ergebnis zeigte die Lebenszyklus-Bewertung (LCA) eine 90%ige Reduzierung des CO2e-Fußabdrucks und eine fast 100%ige Reduzierung von Mikroplastikproblemen aufgrund eines kontrollierten Endes des Lebenszyklus'.

Kreislauffähige Produktinnovation ist nicht nur eine Frage des Wollens

Soweit, so gut. PNZ, in Kooperation mit Zentek, zeigt, dass es möglich ist ein so komplexes Produkt wie Wandfarbe von Grund auf zu innovieren und kreislauffähig zu gestalten. Bei solchen Fallbeispielen kommt die Frage auf, warum es nicht schon längst gängige Praxis in Unternehmen ist und für viele weitere komplexe Produkte funktionierende Kreislauflösungen entwickelt worden sind? Siehe da, es ist doch machbar! Und wenn wir schon dabei sind, dann kann kreislauffähige Produktinnovation doch auch der Startschuss für eine Unternehmenstransformation mit regenerativem Nordstern sein. Wir ahnen aber, dass es nicht alleine eine Frage des “Wollens” ist. In diesem Fall braucht es eine klare Unterscheidung. Denn das Produkt allein macht ein Unternehmen nicht regenerativ (s. Abb. 1).



Regenerative Geschäftsmodelle im Bezug zu zirkulären Produkten und Nachhaltigkeit
Abbildung 1: Diagramm Sustainable, Regenerative, Circular [1]

Klar ist, dass die Entwicklung eines zirkulären Produktes ein wesentlicher Bestandteil eines regenerativen Geschäftsmodells ist bzw. sein kann. Es handelt sich jedoch um einen sehr speziellen, oft sehr technischen Innovationsprozess auf der Produktebene. Die Frage ist, wie das Unternehmen als rahmengebende Organisation dafür sorgt, dass eine zirkuläre Produktinnovation kein “Zufallsprodukt” ist, sondern das Ergebnis bewusster Organisationsgestaltung, welche darauf angelegt ist, diese Lösungsmuster immer wieder zu replizieren.


Rückblick: die 5 Gestaltungselemente regenerativer Organisationen


Nach Marjorie Kelly kann das Design eines Unternehmens auf fünf zentrale Gestaltungselemente zurückgeführt werden: Purpose, Eigentum, Governance, Finanzen und Netzwerke. In Bezug auf das Projekt “Wandfarbe ohne Abfall” sehen wir hier vor allem in der Einbettung des Produktes in das umliegende sozio-ökologische System in Zusammenarbeit mit Partnern eines der fünf wesentlichen Aspekte der regenerativen Unternehmensentwicklung. Das Projekt nutzt die Kooperation mit dem Netzwerk, um zirkuläre Lösungen über die Lieferkette hinweg zu etablieren.

Auch in Bezug auf den Purpose ist PNZ als Unternehmen bereits einen Schritt weiter und hat als eines der ersten Unternehmen in Deutschland 2019 bereits erfolgreich die B Corp-Zertifizierung abgeschlossen. Eine Schlüsselvoraussetzung für die Zertifizierung ist eine Anpassung des Unternehmensgegenstandes und des Zwecks der Gesellschaft im Gesellschaftsvertrag (Satzung). Als B Corp hat PNZ, und inzwischen auch Zentek, in ihrer Satzung zusätzlich verankert, dass sie mit ihrer Geschäftstätigkeit u.a. als Zweck verfolgt, eine positive Wirkung auf das Gemeinwohl und die Umwelt zu erzielen. Damit findet auch ein Purpose im regenerativen Sinne als zweites Gestaltungselement Berücksichtigung.

Um die Unternehmensorganisation weiter in Richtung Regeneration zu entwickeln, lohnt es sich, über die weiteren Eckpfeiler regenerativer Organisationen zu sprechen, wie Eigentum, Governance und Finanzen.


Finanzen: der Hebel für die regenerativ-nachhaltige Transformation

Sprechen wir zunächst über den Punkt Finanzen. Die Beziehung eines Unternehmens zu seinen Finanzen ist ein weiterer entscheidender Faktor für regenerative Unternehmen. Die herkömmlichen finanziellen Parameter, wie Margenanforderungen, Dividendenerwartungen und Gewinnverteilungsregeln, beeinflussen maßgeblich die Entwicklung von Produkten und Dienstleistungen sowie die Bereitschaft, in die Zukunft zu investieren.

Diese Dimension ist die logische Conclusio, wenn es Unternehmen ernst meinen mit der regenerativ-nachhaltigen Transformation. Es kommt letztlich darauf an, ob das Unternehmen das notwendige Kapital frei- und einsetzt, durch das die Umsetzung regenerativer Strategien ermöglicht wird. Dazu braucht es - wie eingangs beschrieben - nicht zuletzt auch den Mut, diese Investitionen zu tätigen, ohne zu wissen, ob es sich “auszahlt”. Marcel Pietsch-Khalili nimmt dazu klar Stellung und zeigt, wie es gehen kann:

“Seit über 15 Jahren investieren wir rund 10% unseres Umsatzes in nachhaltige Innovationsprojekte. Alle Mitarbeitenden können beitragen und wenn sie eine Idee haben, die uns begeistert, dann wird sie umgesetzt. Jahr für Jahr haben wir so um die 500.000 EUR investiert. Hinzu kommt, dass wir vor drei Jahren ein Umsatzziel-Moratorium festgesetzt haben, das uns erlaubt, für mindestens fünf Jahre konkrete Umsatzziele als primäre Zielsetzung unserer Aktivitäten zu vernachlässigen. Selbstverständlich müssen wir profitabel wirtschaften, aber das Moratorium erlaubt uns auch in umsatzschwächeren Jahren in nachhaltige Projekte zu investieren, ohne dem Druck des “Return on Investments” ausgesetzt zu sein.“

Die GmbH und andere Eigentumsmodelle

Wie in vielen Fällen der Unternehmenslandschaft, befindet sich auch PNZ in der rechtlichen Form einer GmbH wieder. Es existiert mittlerweile eine vielfältige Palette alternativer Eigentumsmodelle, darunter Genossenschaften, Unternehmen im Besitz ihrer Mitarbeiter und Unternehmen, die in kommunalem Besitz sind. Zudem sind neue Formen von Unternehmen entstanden, die als "soziale Unternehmen" bezeichnet werden und einen innovativen Ansatz für Eigentumsstrukturen darstellen. Obwohl diese Unternehmen auf Gewinn abzielen, ist ihre Hauptmotivation nicht die Gewinnmaximierung. Dadurch schaffen sie eine neue Kategorie im privaten Sektor, die sich neben Non-Profit-Organisationen und staatlichen Unternehmen am Gemeinwohl orientiert. Bisher gibt es jedoch noch keine einheitliche Typologie für das Design solcher Unternehmen. Um die Strategie von PNZ auch auf Langfristigkeit, über die Ideen und Wünsche des Gründers hinaus, festzusetzen, könnte ein zentraler Schritt in der Neudeutung des Eigentums liegen. Vielleicht wird dies in näherer Zukunft auch auf Grund der Bewegung des Verantwortungseigentums auch rechtlich vereinfacht.


Governance als Rahmengeberin für den Schutz der Mission


Durch die Wahl einer GmbH ist die Governance über allgemeine juristische Rahmenbedingungen geklärt. Entscheiden kann letztendlich die Geschäftsführung in der Verhandlung mit den Gesellschaftenden. Oft sind diese beiden Rollen ein und dieselbe Person. Um Governance regenerativ zu denken, braucht es eine explizite Governance, die eine Organisation für sich neu definiert.

Für regenerative Unternehmen bedeutet dies, dass die Struktur der Governance so gestaltet ist, dass sie diejenigen repräsentiert, die sich auf die gemeinwohlorientierte Mission konzentrieren. Wir sehen dabei als zentrale Punkte die Entscheidungsfindung, die Handhabung von Kompromissen und die Transparenz von wichtigen Unternehmenskennzahlen. Diese expliziten Working Agreements sind dafür da, die regenerative Mission zu schützen und gleichzeitig zu fördern. Denn der Fokus auf das Gemeinwohl spiegelt sich am Ende in den Informationen wider, welche in den Jahresabschluss aufgenommen werden und welche Anreiz- und Anerkennungssysteme genutzt werden, um den Unternehmenszweck zu verfolgen.



Fazit


In der Theorie ist regeneratives Wirtschaften möglich. In der Praxis gestaltet es sich nicht ganz so einfach und die heutige Landschaft der Unternehmensformen (GmbH & Co), die maßgeblich die Art zu wirtschaften beeinflusst, setzt klare Grenzen, inwiefern eine nachhaltig-regenerative Transformation vollumfänglich gelingen kann. Das Beispiel PNZ zeigt aber sehr deutlich, wie man auch als mittelständisches, inhabergeführtes Unternehmen durch kreative “Workarounds” Regeneration in vielen Dimensionen dennoch fördern kann. Nicht zuletzt braucht es dafür starke Führungspersönlichkeiten in der ganzen Organisation, die kontinuierlich an ihrem Bewusstsein für die sozio-ökologische Perspektive arbeiten und einen inneren Antrieb verfolgen, um diese Perspektive über das Unternehmen hinaus zu tragen.

Wir finden die Maßnahmen und Ergebnisse, die PNZ mit viel Leidenschaft, Kreativität und Veränderungswillen erwirkt hat, sehr inspirierend. Das finden übrigens nicht nur wir. PNZ erhält am 23. November 2023 den renommierten Deutschen Nachhaltigkeitspreis 2024 als Vorreiter einer nachhaltigeren Chemie. Wir gratulieren dazu!


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